Was die berühmten Spatzen schon eine Weile von den genauso berühmten Dächern gepfiffen haben, wurde heute von den Rhein-Neckar Löwen bestätigt. Zum Sommer 2024 wechseln Tim Nothdurft (Linksaußen) und Sebastian Heymann (Rückraum links) nach Mannheim. Zwei neue Spieler für die Löwen also, die ich mal ein bisschen näher unter die Lupe nehmen möchten. und zu denen ich auch eine klare Meinung habe.
Der Neue vom Bergischen HC: Tim Nothdurft
Nothdurft ist seit wenigen Wochen Nationalspieler. Am 03.11.2023 gab er sein Debüt im Spiel gegen Ägypten (Endstand 31:31) und erzielte auch gleich ein Tor. Mittlerweile wurde er von Bundestrainer Alfred Gislason in den 35er-Kader für die Europameisterschaft 2024 berufen. Ob er es in den endgültigen Kader für die EM schaffen kann, ist noch offen.
Nothdurft, der 1997 in Reutlingen geboren wurde, war von der Saison 2016/17 bis zur Saison 2021/22 beim HBW Balingen-Weilstetten. Seit Juli 2022 steht er beim Bergischen HC unter Vertrag. Für die Bergischen und den HBW bestritt er bisher (Stand: 06.12.2023) insgesamt 233 Spiele, davon beim HBW 71 in der 2. Liga. in der 1. Liga gelangen ihm bisher 387 Tore (2. Liga: 125 Tore). Statistisch gesehen ist Nothdurft in den Kernkompetenzen für einen Außenspieler – Wurfquote von Außen und im Tempogegenstoß – besser als die beiden jungen Linksaußen der Löwen, David Móré und Lion Zacharias. In der letzten Saison war Nothdurft in den erwähnten Disziplinen übrigens auch deutlich besser als Löwen-Legende Uwe Gensheimer.
Zwei Gründe für den Wechsel
Zum einen spielt sicher die Erfahrung von Nothdurft eine Rolle. Er bringt hier einfach deutlich mehr mit als die beiden jungen Linksaußen der Löwen. Und Erfahrung ist etwas, was die Löwen gerne dazubekommen möchten, wie Jennifer Kettemann im letzten Löwenfunk ja auch erwähnt hat.
Zudem kommt noch ein Aspekt hinzu, der nicht zu unterschätzen ist. Im Gegensatz zu Zacharias und Móré, die beide 1,84m groß sind, kann Nothdurft nochmal 12 cm mehr an Körpergröße vorweisen. Von seiner Statur her und von dem her, was er bisher schon gespielt hat, kann er in der Abwehr durchaus auch die Halbposition besetzen. Das gibt den Löwen nochmal ein Plus an Möglichkeiten, denn die Halbpositionen in der Abwehr sind sicherlich keine Positionen zum Ausruhen. Ohne den außen verteidigenden Spielern zu nahe treten zu wollen, ist deren Job im Normalfall doch etwas weniger intensiv.
Drei sind da, einer kommt, zwei müssen gehen
Dass sich die Löwen derzeit den Luxus erlauben, auf der Torhüterposition drei starke Leute zu haben (dazu demnächst mehr auf diesem Kanal), lässt sich nicht beliebig auf jede Position übertragen. Gerade auf den Außenpositionen ist es eher der Fall, dass sogar ein nomineller Außenspieler eingespart wird (s. Groetzki, Patrick, Alleinunterhalter auf Rechtsaußen). Von daher ist zu erwarten, dass die Löwen nur mit zwei Linksaußen in die nächste Saison gehen. Für Uwe Gensheimer ist die derzeit laufende Saison mit Sicherheit die letzte als Spieler. Eventuell wird er ja übermorgen als neuer Sportlicher Leiter der Löwen vorgestellt. Zumindest haben die Löwen für diesen Tag zu einer Pressekonferenz geladen, bei der wichtige personelle Entscheidungen bekannt gegeben werden sollen.
Damit wären es nur noch drei Linksaußen. Glaubt man der Website der HBL, so läuft der Vertrag von Lion Zacharias nur noch bis zum Saisonende, der Vertrag mit Móré aber noch bis 2025. Von daher erwarte ich, dass der Vertrag mit Zacharias nicht verlängert wird. Das wäre zwar schade, denn ich hätte mich gefreut, wenn die Löwen den derzeitigen Weg mit zwei jungen Linksaußen aus dem eigenen Stall fortsetzen würden, wie ich ja auch schon vor wenigen Tagen erst zum Ausdruck gebracht habe. Ich kann allerdings verstehen, dass die Löwen hier Erfahrung verpflichten wollen. Mit zwei Linksaußen in die nächste Saison zu gehen, von denen einer diese Erfahrung mitbringt (Nothdurft) und einer dahinter lernen kann (Móré) ist jetzt auch nicht der schlechteste Plan.
Eine Bitte an die Löwen
Ich weiß ja, dass die Löwen nicht dazu da sind, jeden Wunsch von Fans zu erfüllen. Eine Bitte hätte ich aber dennoch: Liebe Löwen, lernt aus den Erfahrungen mit Jerry Tollbring! Sorgt dafür, dass Móré nicht hinter Nothdurft versauert, sondern dass er ordentlich Spielzeit bekommt. Und sollte doch, entgegen meinen Erwartungen, Zacharias die Nummer zwei hinter Nothdurft sein, dann gilt für ihn natürlich dasselbe.
Neuzugang Nummer zwei: Sebastian Heymann
Tja, was soll ich sagen. Im Fall von Heymann streiten sich zwei Empfindungen miteinander, und zwar heftig. Auf der einen Seite freue ich mich sehr auf einen Spieler, der zu hervorragenden Leistungen im Stande ist. Heymann kann als Shooter aus der zweiten Reihe agieren, aber auch mit Wucht zum Kreis durchbrechen. Diese Variabilität macht ihn auch für die gegnerische Abwehr schwer einschätzbar. Darüber hinaus hat er eine starke Quote bei Tempogegenstößen (86,35%), auch wenn er davon in seiner Karriere noch nicht so viele hatte (51). Zudem ist er ein Spieler, der sehr gut im Innenblock decken kann. 81 Blocks in 156 HBL-Spielen sprechen da eine deutliche Sprache. Diese Abwehr-Fähigkeit und seine Möglichkeiten im Angriff sind eine traumhafte Kombination.
Oder besser: wären. Denn das große Problem von Heymann sind Verletzungen, womit wir bei der zweiten Empfindung wären. In der Saison 2017/18 verpasste er viele Spiele aufgrund eines Mittefußbruchs. Im Oktober 2019 zog er sich einen Kreuzbandriss im rechten Knie zu, kam dann aber in der Saison 2020/21 sehr stark zurück. Seine 148 Tore (davon 12 Tempogegenstoßtore) , 91 Assists, 14 Blocks in der Saison stellen für ihn jeweils Bestwerte dar. In der darauf folgenden Saison 2021/22 war seine Wurfquote mit 64,24% besser als je zuvor, ehe ihn im Mai 2022 ein Kreuzbandriss im linken Knie erneut langfristig ausbremste. Bis jetzt scheint er sich davon noch nicht so richtig erholt zu haben. Seine Leistungen waren zuletzt jedenfalls noch nicht so richtig das Gelbe vom Ei.
Zwei Kreuzbandrisse sind ein Risiko
Mit zwei Kreuzbandrissen und einem Mittelfußbruch ist das Risiko bei Heymann sicher nicht gering. Ist er körperlich fit, und hat er auch mental keine Nachwirkungen mehr, dann werden wir Löwen-Fans an ihm noch sehr viel Freude haben. Wenn einer dieser Aspekte nicht passt, dann allerdings … Ich hoffe sehr, dass sich die Löwen das gut überlegt haben, und dass sie genug Informationen von und über Heymann haben, sodass diese Verpflichtung gut begründet ist. Eine Garantie, dass nichts passiert, hat man natürlich bei keinem Spieler. Wenn ein Neuzugang aber eine solche Liste an schweren Verletzungen hat, wie Heymann, dann ist das Risiko meiner Meinung nach halt höher.
Zwei sind einer zu viel?
Ein Aspekt, der mir im Zusammenhang mit der Verpflichtung von Heymann noch in den Sinn kommt, ist die Frage nach Halil Jaganjac. Genauer gesagt sind es zwei Fragen, die ich mir stelle. Über eine habe ich bereits vor einer Woche geschrieben, als die Verpflichtung von Heymann noch ein Gerücht war. Diese Frage stellt sich nun umso mehr: Ist die Verpflichtung von Heymann ein Indiz dafür, dass Jaganjac nicht mehr im Angriff eingesetzt werden kann, weil die Schulter zu kaputt ist? Das wäre natürlich gar nicht schön; nicht zuletzt für mich, da Jaganjac einer meiner absoluten Lieblingsspieler ist. Ist Heymann daher vielleicht auch eine Verpflichtung vor dem Hintergrund, dass die Löwen das Leihgeschäft mit Jaganjac, der ja eigentlich bei Kielce unter Vertrag steht, 2024 vorzeitig beenden oder zumindest auf keinen Fall über 2025 hinaus fortführen wollen?
Und die zweite Frage lautet: Ist die Verpflichtung von Heymann eine, die die Breite im Kader erhöhen soll? Rechnen die Verantwortlichen der Löwen damit, dass Jaganjac in absehbarer Zeit wieder vorne mitmischen kann, sodass er und Heymann sich abwechseln können? Für das Spiel der Löwen wäre das natürlich eine grandiose Entwicklung! Auch wenn damit die Zeit von Philipp Ahouansou bei den Löwen wohl enden dürfte. Er hat zwar vorne auch einige Qualitäten, aber ihm fehlt die Abwehrstärke der beiden anderen. Das wäre ein Knackpunkt, an dem eine Weiterverpflichtung über 2025 hinaus möglicherweise scheitern könnte.
Wie passen die beiden Neuzugänge in den Fünf-Jahres-Plan der Löwen?
Vorhin gerade gelesen, das jemand meinte, die Neuzugänge würden den Löwen nicht helfen, ihren Fünf-Jahres-Plan in die Tat umzusetzen. Nur zur Erinnerung: In dem Plan geht es den Löwen darum, innerhalb von fünf Jahren wieder mit den Topteams der Liga konkurrieren zu können. Wir sind im zweiten Jahr dieses Fünfjahresplans, also ist noch etwas Zeit. Das wird halt auch gerne vergessen: meinem Verständnis nach sollen die beiden Neuzugänge, zusammen mit Ivan Martinovic, der ebenfalls 2024 kommt, die nächste Phase einleiten. Erfahrung wird hinzugeholt, das Team wird in der Spitze breiter aufgestellt. Ein weiterer Schritt wäre es dann, in der Spitze nachzulegen. Aber noch sind die fünf Jahre nicht vorbei. Kann also alles noch kommen.
Zum Schluss: Willkommen bei den Löwen!
Grundsätzlich gilt für mich: Wer bei den Löwen spielt, wird unterstützt! Mit Schreien, Rufen, Klatschen, Schal schwenken, wie auch immer. Ohne Wenn und Aber. Das gilt natürlich auch für Tim Nothdurft und Sebastian Heymann (und für Ivan Martinovic). Alle kritischen Anmerkungen, die ich hier zu den zwei heute verkündeten Neuzugängen aufgeschrieben habe, ändern daran nichts. Denn unkritisch alles gut heißen, was die Löwen machen, das werde ich nicht. Genauso wenig werde ich aber die Löwen nicht mehr unterstützen, nur weil mir ein Spieler nicht passt, oder weil ich Bedenken habe, oder weil ich eine Entscheidung falsch finde.
Deshalb: Willkommen bei den Rhein-Neckar Löwen, Tim und Sebastian (und Ivan)!