Es gibt so Spiele, da bin ich mir nicht so richtig im Klaren darüber, wie ich sie beurteilen soll. Der gestrige Rekordabend – noch nie gab es ein 23:4 in einer ersten Halbzeit eines HBL-Spiels – nimmt dabei eine ganz prominente Rolle ein.
Alter, was war denn das? Als die Löwen mit 1:0 und 2:0 in Führung gingen war noch kein Rekordabend absehbar. Schließlich ist das nun nichts, was man nicht schon häufiger gesehen hatte. 3:0, 4:0, 5:0, alles noch im Rahmen. Lemgo nimmt die erste Auszeit und du denkst, da bessert sich was. Gestern nicht, im Gegenteil! Es wurde noch deutlicher. 6:0, 7:0, 8:0, 9:0 … was geht denn hier ab? Lemgo-Trainer Florian Kehrmann dachte sich wohl dasselbe und nahm seine zweite Auszeit. Nach 11 Minuten und 2 Sekunden!
2. Auszeit Lemgo nach 11:02. Die @RNLoewen machen bisher anscheinend einiges richtig. 😎 #LoewenLive #1team1ziel
— RedGoldLion 📯 (@antscd) February 8, 2018
Was kann man da zu Lemgo sagen? Irgendwie lief es an diesem Rekordabend komplett verkehrt für die Spieler von Florian Kehrmann. Die Löwen waren unglaublich spielfreudig, heiß auf Handball, hungrig auf Tore, mit einem bärenstarken Andreas Palicka im Tor, und sie waren ziemlich ausgeruht. So sind die Löwen für nahezu alle Gegner nur schwer zu knacken. Wenn du dann mit einem Mittelfeldteam ankommst, bei dem gar nichts läuft, dann läuft das halt mal so. Wurfpech (Latte oder Pfosten), schwierige Abschlüsse (weil die Löwen keine leichten Würfe zuließen) und technische Fehler (weil die Löwen aggressiv zu Werke gingen) bestraften die Löwen gesten Abend gnadenlos.
Und so kam, was kommen musste. 10:0, 11:0, 12:0, 13:0, 14:0. Nach jedem Tor habe ich ein Bild vom Videowürfel gemacht, wollte das twittern. Dann habe ich den Tweet vor dem Absenden gelöscht, denn erneut war ein Angriff des TBV torlos geblieben und die Löwen legten nach. Als dann an diesem Rekordabend nach knapp 17 (!) Spielminuten Christoph Theuerkauf aus dem Rückraum doch mal ein Tor für den TBV erzielen konnte musste ich nicht länger warten.
14:0 … Kann man mal machen … #loewenlive #1team1ziel pic.twitter.com/nIQDSgL4iM
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Es war eine merkwürdige Situation, als die Heimfans beim ersten Tor der Gäste lautstark jubelten. Ich wusste selber nicht, wie ich reagieren soll. Freuen und kräftig abfeiern? Oder Mitleid mit dem Gegner? Oder doch Kopfschütteln? Letztlich war es bei mir und etlichen anderen, die in meiner Nähe sitzen, wohl ein Mix aus allem. Das wurde so schnell auch nicht anders, denn beim 14:1 war ja noch nicht Schluss. Es folgte ein weiterer 5:0-Lauf der Löwen, bis zum 19:1! Dass es dann zur Halbzeit “nur” 23:4 stand war dem Umstand geschuldet, dass die Löwen ein klitzekleines bisschen nachließen. Kann man ihnen das übel nehmen an so einem Rekordabend? Ich war jedenfalls ein wenig zittrig, als ich den Halbzeitstand fotografiert habe (s. Bild), aber wann erlebt man schon solch ein Spiel?
23:4. Eine Halbzeit für die Ewigkeit. #LoewenLive #1team1ziel pic.twitter.com/m6DSkIhKhe
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Eine Halbzeit für die Ewigkeit, hatte ich dazu geschrieben. Und das ist es wohl wirklich. Ich kann – und will! – mir nicht vorstellen, dass so eine Halbzeit in naher Zukunft nochmals getoppt wird. Das hat kein Gegner verdient, und dass dieser Spielverlauf die Lemgoer Spieler nicht kalt ließ war auch zu erkennen. Zwischenzeitlich hatte keiner mehr den Mut zu werfen. Manch einer mag von Frechheit sprechen, von Arbeitsverweigerung. Ich persönlich glaube, dass da einfach nur zwei Extreme aufeinander prallten: überragender Meister gegen Beinahe-Absteiger der letzten Saison mit Kollektiv-Blackout. Das ist nicht schön, das sollte nicht passieren, aber wie der gestrige Rekordabend bewiesen hat kann das mal passieren.
Nach der Pause ließ Nikolaj Jacobsen durchweg diejenigen Spieler auf die Platte, die sonst sehr viel spielen. Gute Sache, Bogdan Radivojevic, Harald Reinkind, Filip Taleski, Jerry Tollbring und Rafael Baena viel Spielzeit zu geben. Kristian Bliznac kam dann später noch für Hendrik Pekeler in der Abwehr, und in den letzten fünf Minuten durfte dann auch noch Maximilian Trost ran. Diesem Umstand war es sicherlich zu verdanken, dass Lemgo in der zweiten Halbzeit besser mithalten konnte. Die Löwen nahmen ein oder zwei Gänge raus, waren in der Abwehr nicht mehr so kompakt und beweglich, und die menschliche Krake Palicka rollte den einen oder anderen Fangarm ein.
Übrigens: Nicht nur das Runterschalten der Löwen ist dafür verantwortlich, dass die zweite Halbzeit nur mit 15:13 an die Löwen ging. Auch Lemgo hat sich meiner Meinung nach respektabel verabschiedet. Man gab sich nicht total auf, sondern man versuchte weiterhin, vorne Tore zu erzielen, und hinten hat die Abwehr nicht dauernd den Löwenspielern die Bahn freiwillig frei gemacht. Nicht immer selbstverständlich auch, dass es eine sehr faire Partie war. Kein Spieler der Gäste ließ seinem Frust über den Spielverlauf mit einem üblen Foul freien Lauf. Auch das gehört zu diesem Rekordabend.
Am Ende steht somit ein 38:17 der Rhein-Neckar Löwen über den TBV Lemgo. Für die Gäste hoffe ich, dass sie das Ergebnis und vor allem den Spielverlauf der ersten Halbzeit schnell abhaken können. Es kommen auch wieder bessere Zeiten, da bin ich mir sicher. Und für die Löwen hoffe ich, dass der Rekordabend das Selbstvertrauen nochmals ein klein wenig angehoben hat. Die Spieler werden es wissen, und die Trainer werden es ihnen auch klar machen, dass solche ein Spiel so schnell nicht nochmal kommen wird. Die nächsten Spiele dürften deutlich schwieriger werden. Aber mit dem Wissen, wie gut man sein kann, sollten die Löwen dafür gut gerüstet sein.